Mittwoch, 5. August 2009

After-Wacken


Wieder die komfortablen ICE-Sitzpolster unter meinem Hintern. Ich beobachte eine junge Familie auf dem gegenüberliegenden Vierersitz und beneide sie um ihre Schönheit: Die Mutter blond mit Designer-Sonnenbrille im locker hochgebundenen Haar, türkise Ärmel über sonnengebräunter Haut, die sich über feingliedrige Finger spannt und in schlanken Händen enden, die niemals plump aussehen. Der Vater langbeinig und athletisch, kahlgeschorener Kopf über erhöhten Wangenknochen. Schick. Die Kinder lockenköpfig goldig. Sie essen von dem pedantisch zubereiteten Reiseproviant, das die schönen Hände Päckchen für Päckchen aus einem Esprit-Rucksack hervor zaubern: Fruchtzwerge, hartgekochte Eier, zartes Hühnerleisch, Apfelecken, Orangenschnitze, Leibnitz-Schokokekse. Alles fein säuberlich verpackt und geometrisch-praktisch verstaut.

Irgendwann haben sie dann zuende gegessen und sitzen da: Zufrieden, satt und in stiller Eintracht; während ich noch auf meinen Fruchtgummis herum kaue, mein Lidl-Radler aus der Plastikflasche schlürfe und den Dauerwerbefilm weiter auf mich einwirken lasse.
Ich freue mich auf meine Zeitung zu Hause. Ich freue mich auf bunte Farben. Auf Grün, auf Blau, auf Gelb. Alles Mangelware auf einem Metalfestival. Ich freue mich auf Realität.

Hinter mir sitzen drei Spanier in Metalshirts, lesen in Metalmagazinen und spielen zu Metal-Tönen, die in metallfarbenen Ohrstöpseln zu ihren bereits grau melierten Schädeln führen. Dazu trommeln sie nervös auf den Sitzen ihrer Vordermänner - also meinem - und zappeln mit den Knien. Das nennt man dann Airdrumming. Ich frage mich, wie lange ich noch warten muss, bevor sich einer von ihnen vorbeugen und über seinen Sitz schielen wird, um mich zu fragen: "You went to Wacken?"
Jau, I went to Wacken! Um ein bisschen dinero zu verdienen, ihr wisst schon, companeros. Damit ich nicht mehr wie ein totaler Penner durch Berlin wanken muss. Damit ich wenigstens ein Penner mit Geld werde, der sein Fahrrad irgendwie von einem Schlosserfritzen befreit bekommen kann und damit von nervauftreibender Schwarzfahrerei erlöst wird, seit sein Rucksack inklusive Schlüssel, Geldbeutel, Handy, Jacke und Lieblingshirt vor eineinhalb Wochen geklaut wurde. Ich übertreibe. Aber ihr müsst schon verstehen, Leute, sorry: Ich bin echt genervt.

Die letzten vier Tage waren wie erwartet eine langwierige und kräftezehrende Angelegenheit gewesen. Regenschauer, kühle auszuharrende Nächte, Schlafmangel, fettiges Essen noch und nöcher und außer meinem eingeschmuggelten Jägermeister kein Gemütsaufheller weit und breit. Nur spuckende, lallende und unkontrollierte Idioten direkt vor meiner Nase. Verpickelt und mit Alkoholfahne, fettem Ranzen (= Bierbauch, Stolz eines jeden (deutschen) Metallers) und madig weißer Haut mit Püstelchen, aufgeplatzten Adern und schwarz-drahtigem Haar übersäht. Widerlich vergilbte Nikotinzähne, seit Tagen nicht geputzt mit den letzten Resten der Bratwurst oder der Dosenravioli dazwischen. Die Alkoholfahne wird angesichts der vorherrschenden Schweinegrippewarnung und unter den hygienischen Bedingungen dankend  als keimtötende Substanz hingenommen. Manch einer trägt trotzdem einen Mundschutz. Ich hätte da schon einen kompletten forensischen Anzug bevorzugt, inklusive Riechsalbe, bitte.

Siebzigtausend Metalheads in Wacken, einzig und allein, um dort ihr hart verdientes Geld in überteuertes Bier und hässlichen Merchandise zu stecken, während ich mir für hundert Euro pro Tag bis zu sechzehn Stunden am Stück die Füße wund laufe, um ihrem irrwitzigen Konsumwahn nachzukommen. Unbegreiflich.
Der Stand, an dem ich arbeitete, war ein zehn mal fünfzehn Quadratmeter großes Zelt, bis obenhin vollgestopft mit Bandshirts, Wackenshirts, Wackenjacken, Wackenfeuerzeugen, Wackenkilts, Wackenkuscheltieren, Wackenstrampelanzügen, Wackenpostkarten, Wackentassen, Wackentaschen und Wackenwasnochalles. Das mag sich für den Außenstehenden absurd anhören, aber das Zeug verkauft sich tatsächlich. Wacken is business und Wacken kennt seine Kunden.

Also werdet niemals einer davon.

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