Sonntag, 20. Juni 2010

Meine Zeugnisse



Meine Zeugnisse - wären sie in Reichweite, würde ich sie bis auf einige Ausnahmen alle verbrennen. Die Ausnahmen wären hierbei vor allem meine Grundschulzeugnisse, in denen meine damalige Klassenlehrerin Frau Klappoth in feinstsäuberlicher Schrift echt nette und vor allem wahre Sachen über mich geschrieben hat, indem sie akkurat beschrieb, was meine Stärken und was meine Schwächen waren (sind).

Auch die von meinem Deutsch- und Lateinlehrer ausgestellten Zeugnisse noch während der Unterstufe später am Gymnasium würde ich bewahren. Immerhin war ich seine "Lieblingsschülerin", bevor ich Grufti und dann Metallerin wurde, und er war mein "Lieblingslehrer" bis zum bitteren Ende, bis er mir nach Abgabe meiner Besonderen Lernleistung in der 12. Klasse - einem Essay zu Friedrich Schillers "Die Räuber" mit gesellschaftskritischer Stellungnahme am Ende - Abschreiben unterstellte. "So kann unmöglich eine 17-jährige denken", sagte er mir damals. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht clever genug gewesen, um diesen Angriff von ihm rhetorisch in ein Kompliment umzuwandeln und ruhigen Blutes Stellung zu nehmen. Stattdessen wurde ich stinkewütend und schmiss Herrn Vogel beleidigt und ohne zu Zaudern in die von mir kreierte und zu jener Zeit bereits ziemlich überfüllte nietzeanische Untermenschkategorie. Wahrscheinlich hat er mir deswegen nie den Brief beantwortet, den ich ihm ca. zwei Jahre später aus Schweden schrieb und in dem ich mich entschuldigte oder zumindest versuchte mein Verhalten zu erklären. Immerhin war ich, wie ich zum Zeitpunkt des Briefes endlich eingesehen hatte, unter der ganzen Wut und Ignoranz nur enttäuscht und verletzt gewesen, damals, als mein Mentor scheinbar den Glauben an mich verloren hatte.

Diese Zeugnisse würde ich also behalten, da sie tatsächlich sind, was sie sein sollten: Zeugenberichte aus der damaligen Zeit, die etwas über mich aussagen. Und für sie habe ich nichts anderes getan, ausser ich zu sein und zu existieren.

Ganz im Gegensatz zu den Anforderungen, die dann später an mich gestellt wurden, damit ich ein Zeugnis bekommen würde.
Ich sollte mir fremde Leute anrufen und sie zu ihren Bands befragen und aus dem oft kläglichen Material, das dabei heraus kam, dann einen versprechend klingenden Text machen.
Ich sollte Alben anhören, die ich totlangweilig fand und trotzdem so und so viele Zeichen verfassen, obwohl die Misere in einem Wort beschrieben werden konnte: Gähn!
Ich sollte Filmkritiken verfassen, obwohl ich keine Ahnung von Filmen habe.
Ich sollte Oliver Pocher interviewen, dabei kannte ich seinen Namen nicht einmal, bevor man ihn mir nannte und nachdem ich ihn dann recherchiert hatte, hatte ich das ungute Gefühl, dass man mich nur deshalb vorschickte, da sich sonst niemand freiwillig in die Höhle des Löwen, oder sollte ich besser sagen des Stinktieres, wagte - was sich bewahrheiten sollte.
Ich sollte einen persönlichen Text über Schlingensief schreiben, dabei kenne ich ihn doch gar nicht. Dann solle ich eben einen neutralen schreiben, sagte man mir - und das tat ich. Und er war gut. Aber mit der Überschrift "Ich durfte in Schlingensiefs Seele blicken" war er nur noch lächerlich.
Ich sollte über irgendso eine Emanze von Künstlerin schreiben, aber doch bitte ohne das Wort Feminismus und Gender zu erwähnen, denn "das verstehen die Leser nicht". Stattdessen schrieb ich also über sie und ihren boyfriend.
Ich sollte ein Theaterprojekt alleine bildbühnenkünstlerisch betreuen, dabei wollte ich nur mal sehen, was man in dem Jobb so macht - natürlich ging alles schief und meine mühsam gebastelten Requisiten machten allein die Schauspieler froh, bis mir der Regisseur dann sogar verbot während der Proben mit der eigentlichen Bühnenbildnerin, meiner Betreuerin, zu telefonieren , während diese mir aber gleichzeitig verbot, die Proben zu verlassen, um zu telefonieren, es könne ja was wichtiges passieren - als ob es mein Fehler war, dass ihr Stück ein einziges unorganisiertes und uninspiriertes Fiasko war, denn das war es wirklich.

Ich hab es alles über mich ergehen lassen. Ich habe kein Geld dafür verlangt, wie konnte ich denn auch als "Ein Praktikant in Deutschland", wahrlich kein Sommer- und auch kein Wintermärchen. Wie konnte ich denn, als "freie Mitarbeiterin", frei von Geld und Verpflichtungen, aber nur frei insofern, dass man sich auch traut "Nein" zu sagen zu den dringlichen Mails: "Könntest du das und das noch übernehmen?" und die CDs einfach zurückschickt, die ungebeten in deinem Briefkasten liegen.

Alles, was ich dafür verlangt habe, war lediglich jeweils ein Zeugnis. Und die hab ich auch bekommen, meine Zeugnisse. Das erste musste ich mir allerdings selbst ausstellen, damit der Chefredakteur es dann unterschreiben konnte. Das zweite war ein festgelegtes Dokument, in dem einzig mein Name persönlich auf mich abgestimmt war. Auf das dritte warte ich seit nunmehr 2 Jahren.

Sollte ich mich also jemals wieder für etwas bewerben, werde ich diese Zeugnisse getrost aus meiner Mappe herausnehmen - sie vielleicht sogar wirklich verbrennen, wenn ich erst einmal wieder in Berlin bin -, denn etwas heuchlerisches als die Instanz des deutschen Praktikantenzeugnisses gibt es nicht.
Und was mein selbstgeschriebenes Dokument angeht: Ich werde es als Zeugnis für die Schizophrenie, die mir damals aufgezwungen wurde, behalten.

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