Mittwoch, 2. Juni 2010

An nichts denken.



Glasige Augen, Schleierblick, gedankenverlorenes Glotzen - Ist dieser grenzdebile Zustand tatsächlich ein Zustand des "Nichtdenkens"? Kann man nicht denken?

Oder stimmt der pubertäre Lieblingsspruch noch aus der Gymnasialzeit: "Das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken. Wenn du denkst du denkst, dann denkst du nur du denkst, aber denken tust du nie."

Und weiter, woran denkt man, wenn man meditiert?

Es gibt da anscheinend verschiedene Meinungen zu dem Thema, um genau zu sein drei: die einen meinen, dass man nie nicht denken kann, die anderen, dass man sehr wohl nicht denken kann und an dritter Stelle sind da dann noch die zu nennen, die meinen, dass man eh nie denkt, also wozu die ganze Denkerei?!

Grundsätzliche Fragen, die bei solchen Überlegungen aufkommen, sind erst einmal folgende:

1. Was ist eigentlich "Denken"?
2. Worin liegt der Unterschied zwischen "denken" und "nachdenken"?

Meiner Meinung nach ist Denken die Aktivität des Gehirns, die, wenn man nicht gerade ein Pech(Glücks?-)vogel und hirntot ist, nicht aufhört solange man am Leben ist. Dazu gibt es gerade ganz neue aktuelle Studien übrigens, nachzulesen in "Spektrum der Wissenschaft" - Leitartikel "Die dunkle Energie des Gehirns".

Im Gegensatz zum Denken steht das Nachdenken. Im Idealfall sollte dieses, meines Erachtens nach, eine bewusste Aktivierung des Apparates da oben beinhalten oder aber aktiv Impulse von außen verarbeiten. Wenn ich nachdenke, dann bin ich mir also immer meiner selbst und meiner direkten Umwelt bewusst, die Kommunikation zwischen ICH und "da draußen" ist gewährleistet.

Nachdenken, meiner Meinung nach, kann man dieser Definition zufolge abschalten, indem man eben meinetwegen zum Beispiel meditiert oder stundenlang auf das Meer oder in den Himmel glotzt oder eben den glasigen Blick aktiviert. Was dabei passiert ist denke ich ganz einfach, dass man die Aktivität des Gehirns in der linken Hemisphäre reduziert und es schafft vor allem Teile der rechten Hemisphäre ordentlich zu durchbluten. Was das genau bedeutet, veranschaulicht Jill Bolte Taylor wunderbar in diesem sehr gelungenen Vortrag:
 
Soweit so gut: Wenn wir also gefühlt nicht nachdenken, dann bedeutet das, dass wir uns weitgehend von unseren egozentrischen Bereichen im Hirn trennen, bzw. die für das Ich zuständigen Bereiche zu Gunsten anderer Bereiche vernachlässigen. Diesen Zustand zu perfektionieren ist meiner Meinung nach Meditieren: Ein aktives Verdrängen des Ichs zu Gunsten eines höheren kosmischen Gedankens.

Aber das Denken an sich abzuschalten halte ich weiterhin für unmöglich, da es eine Aktivität des Gehirns darstellt, die ebenso wenig passiv funktioniert wie unser Herzschlag. Nicht denken ist meiner Meinung nach biologisch unmöglich und neueste Forschungsergebnisse belegen dazu, dass das Hirn nur 5% weniger Energie im "nicht-denkenden" Zustand (= Narkose, Dösen, Halbschlaf, glasiges Glotzen) als im konzentriert denkenden Zustand (= Lesen, Rechenaufgaben lösen) verbraucht.

Um das ganze in einer schönen Metapher darzustellen:
Nehmen wir ein Orchester. Das Denken ist ein Orchester. Jeder Teil unseres Gehirns ist damit also ein Musiker und sein Instrument, das Rechenzentrum also die erste Geige (naja, bei mir eher die letzte), das Sprachzentrum die Posaune und so weiter. Lange Zeit hatte ich bei diesem Bild immer gedacht, dass "ICH" der Dirigent wäre, jetzt sehe ich das anders: Der Dirigent ist das "DENKEN" an sich, der Default Mode, wie er in der Wissenschaft genannt wird. Die Musiker und die Instrumente sind das "Nachdenken". ICH bin das Publikum und kann mir die Ohren zuhalten, wenns mal zu laut wird,  oder aber konzentriert auf die Oboe hören und dabei die scheiß erste Geige versuchen zu ignorieren oder aber nur den Celli lauschen oder dergleichen, aber das ändert nichts daran, dass Dirigent und Orchester immer da sind und spielen und spielen und spielen und spielen und.......

Um also nochmal Stellungnahme zu den Ausgangsthesen zu nehmen:

1. Nicht denken kann man nur dann, wenn man eigentlich nicht nachdenken meint. Dass man nicht denken kann glaube ich erst, wenn einer sein Herz dank purer Willenskraft nicht schlagen lassen kann, bzw. es aufhört zu schlagen, weil man es "vergessen" hat.

2. Nicht-denken-Können ist demzufolge eine Utopie.

und 3. Naja, also wenn man tatsächlich nie denkt und nur denkt, dass man denkt, dann hab ich keine Ahnung, was ich die letzten Minuten hier gemacht habe.

Ach doch...nachgedacht habe ich. Und gleichzeitig gedacht. Ich hab also genachdachdenkt. Totale maximale Denkkraft Supreme!!


P.S.: Es wird neuerdings vermutet, dass Störunges des besagten Default Mode zu Schizophrenie, Alzheimer und Depressionen führen.

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