Dienstag, 1. Juni 2010

Thou shalt rule the world, Cyberypace!



Philip Bethge schreibt in seinem Artikel "Unser täglich Netz" in der aktuellen Kulturbeilage des Spiegels über das Internet, Gottes derzeit härtesten Konkurrenten im Kampf um die Treue der Erdenbürger.
Das Internet sei - da ist sich Bathge sicher - jetzt schon seit einigen Jahren dabei, Favorit für den ersten Platz der Weltreligionenrangliste zu werden, "mit Gott und allem, was dazugehört".
Die offizielle Definition von Religion laute: "ein starker Glaube an eine übernatürliche Macht, die das menschliche Schicksal kontrolliert" und da das Internet die Potenz habe, "zum einzigen und vollständigen Werkzeug für das Verständnis des Lebens und der Realität" zu werden, erfülle es somit das Hauptkriterium für den hart umfochtenen Titel, glaubt Bethge.

Und er hat da schon recht, muss man sich eingestehen, wenn man mal nachdenkt. Folgende Situation: Man kommt nach Hause, nachdem man den Tag im Büro am Computer [= im Internet] verbracht und dort unter anderem hinter dem Rücken von Herrn Krause ein paar Online-Bewerbungen für vielversprechendere Jobs rausgeschickt hat. Man will sein Facebook aufrufen, um den Status von Gabi zu checken, ob sie auch sicher in London angekommen ist und Bernd wie jeden Abend im Chat erwischen, um sich das Feierabendbier zu versüßen. Außerdem wollte man noch schnell auf Wikipedia nachschauen, wo nochmal "Inschallah" liegt, was der Gemüsehändler auf dem Türkischen Markt heute auf die Frage geantwortet hat, wo denn die unnatürlich wächsern glänzenden Gurken her kämen. Ja, war aber nichts, das Modem ist nämlich durchgebrannt und die Stahlkabel bis zur Decke hoch schwarz gekokelt, die Blümchentapete darüber braun verwelkt. Wie fühlt sich das an? Doch mindestens genauso unangenehm, wie William Gibsons Protagonist Case aus "Neuromancer" sich gefühlt haben muss, als er feststellte, dass er sich nicht mehr ins Cyberspace einloggen kann. Digitale Ausgeschlossenheit tut weh.

Denn, um wieder den Faden zu Bethges Artikel aufzunehmen, "wer nur noch durch die Netzbrille auf die Welt blickt, hat keine Wahl": das Medium scheint allmächtig. Und was allmächtig ist, muss man nach den Regeln der Logik anbeten: "Denken sie an Hobbes und wieso die Menschen im Naturzustand am Ende um einen Herrscher betteln, der über ihr Leben und Sterben gebietet; sie müssen die Macht unbedingt abgeben; mit dem Internet wird es genauso kommen", zitiert Bethge lobenswerterweise David Foster Wallace an dieser Stelle.

Der Artikel ist sonst nicht überragend, radikal oder bahnbrechend, aber ich musste gerade an ihn denken, als ich eine Band aus Berlin fand, die ihr Album nach einem Zitat von Gibson benannte: "No maps for these territories" und deren Lied "CIM Internet" sowohl Gibsons, als auch Wallaces, als auch Bethges Visionen, bzw. unseren Alltag, sehr gut einfängt:


http://www.myspace.com/ametoki
http://www.ametoki.com/


c.i.m internet


Come into my internet
Fall into my brains
Make a journey through my system
Tumble down my veins

Send an impulse through my nerves
Make sure you hold the line
Store a copy of my thoughts
Link your dreams to mine

This is my reality
Virtually be with me...
This is my reality

Hold me hold me on your screen
Touch me with your data
Let us travel through the worlds
Mix our systems later

The network of my fantasy
Will adjust the mode
Synchronize your frequency
Try to read my code

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