Donnerstag, 26. August 2010

Arbeiten

Hurra, ich bin genormt.

Ich werde jetzt offiziell "gebraucht" und bin "Teil eines Teams". Wenn ich zwei Mal die Woche von sechs bis acht Uhr morgens nicht im Restaurant Salisch erscheine, dann wird das dortige Frühstücksbuffet zum Hauptversammlungsort für verunsicherte Hotelveteranen, die im Falle meiner Abwesenheit verwirrt und verloren durch das fremde Territorium wanken und verzweifelt und vergebens nach dem Lebenselexier Kaffee suchen. Ich bin ihr Tea-Ranger und El Kommandante del Caféolé: "Immer mir nach, hierher, vorbei an der Bar in Richtung Müslitheke, achtung, Stuhlbeinstolperfalle!". Und wenn die Strapazen dann vorbei und die Bäuchlein voll sind, dann sehen sie zu mir auf, meine Kaffeejünger, und sind froh, dass ich da bin, denn so dürfen sie das Frühstücksschlachtfeld marmeladenbefleckt ganz gewissenlos verlassen.
Im Grunde könnte ich mich hier wohl fühlen. Eigentlich. Ein Kaffeeheld ist doch immerhin besser als ein Pantoffelheld und statt existenzieller Fragen ohne Antwort beschäftigen mich hier zur Abwechslung mal Aufgaben mit konkreter Lösung: Wie transportiere ich vier Teller, vier Tassen und vier Gläser auf einmal? (Antwort: Indem ich zwei Mal laufe) Wie funktioniert der Kellner-Storno? (Antwort: So wie ich es bisher versucht habe jedenfalls nicht) Welche Nummer hat der Tisch im Wintergarten hinten rechts und habe ich Tisch zwölf vorne im Eingangsbereich schon boniert? (Antwort: Mist, war ja gar nicht die zwölf, sondern die drei, wie buche ich jetzt nochmal wieder um?)
Statt mich nach dem Sinn zu fragen, erlerne ich hier jetzt ganz einfach nur noch die vorgegebene Routine: Erst lächeln, dann ansprechen, dann warten, dann Bestellung aufnehmen, Kasse, Kaffee, O-Saft, Tablett - und los! Halt stopp: Lächeln nicht vergessen!

Von wegen...

Und genau hier liegt der Hund begraben: Wenn man ans Lächeln denken muss, dann kommt es schließlich nicht von selbst und wenn man nicht lächelt, dann verwest irgendwo ein toter Vierbeiner vor sich hin. Ich kann nicht einmal lesen auf der Arbeit! In die Zeitung schauen ist so eine Art Todsünde, wenigstens darf ich mir immer die besten Artikel vorm Vortag ausschnippeln. Nonstop muss ich beschäftigt sein. Wenn mal niemand da und das Restaurant leer ist, dann soll ich die Bibliothek abstauben, Allan Ginsbergs "Howl" und "Berlin Alexanderplatz" mit einem Lappen abwischen, was irgendwie erotisch ist, aber Zeit darüber nachzudenken, warum eigentlich, habe ich nicht, denn dann muss man das Besteck polieren und die Servietten falten. Theoretisch könnte man bei beiden Tätigkeiten die Gedanken endlich mal schweifen lassen, aber ich bin ja noch ein blutiger Anfänger und meine Kollegin, die um acht ihre Schicht begonnen hat, quakt mich voll: "Hast du heute schon Blumen bestellt?" "Nö, hat mir niemand gesagt." "Und den Kaffee, hast du den bestellt? Den darfst du übrigens nie offen lassen." "Ich wollt doch aber eh gleich.." "Ist ja schon ok, du bist ja noch neu." Und so geht das immer weiter und ich werd immer wütender über ihren Salischjargon, als wär ich schon seit fünf Jahren Servicekraft hier, also platz ich irgendwann: "Lass mich doch einfach mal machen und vertrau mir ein bisschen. Das hier ist meine dritte Schicht, ich tu mein bestes, aber hör auf nur in Tischnummern und Kassenkauderwelsch zu reden, ich fühl mich unnütz wie einer der Blumenstängel, die du da gerade abschneidest!" Sie ist beleidigt, tut aber so, als wäre sie es nicht, als ich mich später für meine Rüffel entschuldige und ich bin gefrustet und habe keine Lust mehr sie um Hilfe zu bitten, als ich überfordert bin.
Das Resultat bin ich komplett in Schweiß gebadet und mit zittrigen Händen und Knien als mein Chef das Restaurant betritt: "Daniela, was ist denn mit dir passiert?" "Ich hab die Barhocker alleine hochgetragen."
Er hält mir einen Vortrag über "Teamgeist" und "Anfangsschwierigkeiten" und ich schau auf die Uhr und denke mir: "Nur noch eine Stunde."

Und jetzt?

Weitermachen. Zähne zusammenbeißen. Den ganzen Disziplinquatsch eben. Aber es ist wie immer eine herbe Ernüchterung auf die Frage "Wozu das Ganze?" nur eine Antwort zu finden: Geld.


...in meinem Fall wohl eher "am ersten Tag", "am dritten Tag", "am fünften Tag".



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