Sonntag, 14. November 2010

Rolf Dieter Brinkmann

Ein Lyriker und Schreiberling, der in seinem Roman "Keiner weiß mehr" von 1968 gern und vielfach beschrieb, wie eine oder seine Frau kurz und schmerzvoll von einem Auto überfahren wird, und nur sieben Jahre später in Londen mit 35 selbst unter die Räder kam. Die Ironie des Lebens hat er also gelebt und ist sie gestorben, und er hat sie auch beschrieben:

"Ein schöner Abend. Ich vergaß ganz mir die Pulsader aufzuschneiden, als ich nach dem Wohnungsschlüssel suchte." (Aus seinem Hörspiel "Der Tierplanet")



Ich glaube, das ist der genialste Satz, den ich je gehört habe. Den hätt er mir gern um die Ohren megaphonen dürfen.

Ansonsten liebte der Mann, der immer in Agent-Dale-Cooper-Manier mit einem Diktiergerät durch die Gegend zu laufen und konstant hinein zu plappern pflegte, noch die Rolling Stones. Daher widmete er ihnen die erste Seite jenes oben bereits erwähnten Romans, da steht:

"Oh no, no, no
Oh no, no, no
Oh no, no, no
Keith Richards & Mick Jagger
Between the Buttons"

Das steht da. Sonst nichts. Und darum geht es in dem Roman auch; darum, dass nichts ist. "Was soll denn auch schon sein?", schreibt er, "Nichts."

Sein Hauptwerk besteht aus den Gedichtbänden "Westwärts 1&2", es folgt ein Exzerpt aus einem seiner Kotztiraden darin, genannt "Bruchstück Nr. 1":

"[...]

(...) Die Innenstädte ohne Jahreszeiten,
gleichbleibend, farblos, die Gesichter ausdruckslos, flach,
fast unkenntlich, in Massen, erhöhte Wohngebühren,

          kalte Heizkörper. Die Zahl der Fehlgeburten,
  Frühgeburten, Nabelschnur um den Hals gewickelt, ge
rissene Fruchtblasen, Brutkästen,  Hirnschäden hat sich
     erhöht, die Meinungsforschungsinstitute machen

Umfragen: "Welche Bedeutung geben Sie einer Abfalltüte?"
     Sie suchen nach neuen Sprachen, im Dunkeln der Körper,

              in der Landschaft unausgeführte Betonmonstren, die
      Pläne verschollen, unverständlich geworden, im Freien,
Stammeln, sobald man das eigene Körpergefühl bei deren
              Anblick in ganze Sätze zu fassen versucht.

Eine erstarrte Zukunft: Herzattacken, der oberste Hemd
Knopf geöffnet, "Freizeithemden," das Verlangen nach
      Halluzinationen, die Sehnsucht nach wortloseren
            Zuständen, eine weiße beleuchtete Wand

zur Mittagszeit, auf die man starren kann, gedankenlos,
wortlos, jeder Begriff von Welt ausgelöscht, dann von neuem
zu den wortlosen Maschinen,

[...]"

Frauen mochte er neben den Stones noch gern. In kurzen Röcken und Lackstiefeln mit Fotzen und Büchsen und Titten und Titten, zu denen sagte er dann: "Ich liebe dich. Ich liebe dich. Nicht. Lieber eine Cola.", und dann: "Aufmachen, Popcorn verteilen. Die gelblichen Körner. Sie quellen im Mund auf. Werden größer. Auf einmal hat man so viel davon im Mund. Vorher auf der Hand hatten sie kaum Gewicht, waren leicht wegzublasen, obwohl sie nach viel aussahen. Und sie schmecken nach nichts. Die glasig milchige Flüssigkeit, die an den Fingern klebt, schmeckt auch nach nichts. Sie hat den Mund davon voll, mit Speichel vermischt, und bekommt und bekommt sie nicht herunter, möchte das wieder auskotzen, weil es ein zu glibbriges Gefühl ist. Und wirklich, es schmeckt fade und fühlt sich glibbrig im Mund an, dass man kotzen möchte. Von innen aus dem Magen kommt es hoch. Der Glibber muss aber runtergeschluckt werden. Ich liebe dich."

Ich dich auch, Rolf Dieter!

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