Samstag, 10. April 2010

Die einsamen Segler


Zynisch und sarkastisch sitzen sie da, die einsamen Segler, und kauen sich auf den Lippen. Sie sind jetzt alle mitte zwanzig, wie sie da in diesem kleinen Raum versammelt sitzen und auf den Boden stieren.
Sie haben gerade verstanden, was Ehrgeiz eigentlich bedeutet. Davor kannten sie nur Trotz. Mit Trotz haben sie das Gymnasium gemeistert, sich an Unsiversitäten eingeschrieben, trotzig sind sie in ferne Länder gereist und trotzig haben sie sich verliebt.
Jetzt allerdings haben sie es verstanden: Trotz, das ist der negative Ehrgeiz. Nie haben sie wirklich etwas für sich getan. Sondern immer nur gegen andere. Aber als noch Zeit dazu gewesen wäre, das Steuer umzudrehen, da hat es niemanden gegeben, der sie auf den fatalen Kurs hätte hinweisen können. Denn alle mutmaßlichen Kapitäne wurden sofort über Bord geworfen, sobald sie sich auch nur anmaßten, den einsamen Seglern den Kompass richtig deuten oder ihnen die Nadel gerade biegen zu können. Aber man kann es den Einsamen nicht wirklich verübeln, denn immerhin haben sich ihre Kapitäne mit ihren Beziehungen zur Flasche und ihren melancholischen Kindsfrauallüren, ihren übergreifenden Grapschereien und ihren gebrochenen Blicken als jeweils denkbar unpässlich für die Aufgabe des Steuermannes erwiesen.
Da vertraut man irgendwann nicht mehr.
Im Alleingang gehts viel besser.
Also weg da jetzt, die einsamen Segler kommen: Sie haben kein Gesetz, sie sind frei und sie haben sich ganz allein ein eigenes Schiff gebaut. Die Wellen gehorchen ihrem Willen und die Winde drehen sich nach ihren Wünschen, während das Blau des Himmels in das Blau des Meeres hinein schmilzt und am Horizont die Grenzen verwischen. Die Gischt grollt und hüpft und springt und tanzt um sie herum und dann schließlich birst der Mast. Einfach so. Ein plötzlicher Stillstand.
Es geht nicht mehr weiter.
Aber egal, einfach sich selbst an den verbliebenen Rumpf vertaut und die Segel an den Gliedern festgeknüpft, voran kommen tut man schließlich immer irgendwie. Noch ein lustiges Liedchen dabei gepfiffen, dann sieht man schon, wo's lang geht und lässt sich einfach hin verschlagen, ein Kinderspiel!

Doch dann war da dieser Sturm.

Und plötzlich lagen die einsamen Segler gekentert in der blutroten See und weinten.

Jetzt - so viele Jahre später - sitzen sie zusammen und starren in die Ferne.
Zeit. All die verloren gegangene Zeit! Die Zeit, die man braucht, um ein neues Schiff zu bauen. Die Zeit, die man braucht, um sich mit fremder Hilfe die verworrenen Wege auf der Lebenskarte nachzuzeichnen, um sich erst einmal neu orientieren zu können. Die Zeit, die schmerzt, da man plötzlich sieht, an wievielen wunderschönen Zielen man bereits vorbei gesegelt ist.

Sie sitzen zusammen und starren auf ihre rotierenden Kompassnadeln. Irgendwie ist da ein Sog entstanden. Sie alle wollen ein guter Kapitän werden, anderen tollen Kapitänen auf ihrem Weg folgen und mit ihren neuen Schiffen eine ganz neue Fahrt beginnen. Sie haben alles genau durchdacht, sie haben geplant, sie horchten auf andere, die bei Stürmen nicht gekentert sind, sondern gerüstet waren und das Herz schwoll den einsamen Seglern vor Stolz und Glück bei der Arbeit an.

Aber jetzt, jetzt ist da ist dieser Sog entstanden. Sie haben natürlich alle erdenklichen Kompasse ausprobiert, von Freunden und Bekannten, von längst Verstorbenen und den Großen ihrer Zeit. Die einsamen Segler ließen sich sogar Instruktionen der besten Segler weltweit zukommen und bauten deren Kompasse mit vor Ungeduld zittrig werdenden Fingern nach.
Aber es half alles nichts.
Die Nadeln hörten nicht auf sich im Nichts zu drehen.

Und wie sie da noch so saßen und mit aller Kraft versuchten aufzustehen, während draußen die Gezeiten weiter walteten und alles ohne sie vor sich hin kosmotisierte, da begriffen die einsamen Segler plötzlich, dass ihre Kompässe niemals funktionieren würden.
Sie begriffen, dass für sie der richtige Weg falsch und der falsche Weg nicht recht war, denn die einsamen Segler akzeptierten das Leben.
Und sie spürten behutsam noch ein letztes Mal nach dem Rotieren der Kompasse in ihren geschlossenen Fäusten. Schweigend sahen sie einander dabei in die Augen - zum ersten Mal in ihrem Leben so richtig - und lächelten. Dann schmissen sie sie weg.

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