Samstag, 10. April 2010

Kakimann in Kakahose

Scheiß Wetter.
Es regnet, graue Luft und die Wolken kleben dir im Haar, so tief hängt die Erdbewässerungsanlage heute am Planeten. Niesel, niesel, niesel, und die Leute sind schlecht drauf. Hilft aber alles nichts, dein Fahrrad musst du trotzdem in Grunewald abholen, bevor dich die Bilder deines verwaisten, desertierten, einsamen Tretesels unter lauter Fremden an den kalten Mauern des Grunewalder Bahnhofs in den Wahnsinn treiben.

In der Bahn liest du Henry Miller in der Letztevierzigseitenverschlingungsphase und schniffst daher nur etwas verwundert, als plötzlich das Odeur nach nassem Hund deine Nasenscheidewände penetriert und direkt danach wie der Duft von gammelndem Kuhdung dein Gehirn anpiekst. Bei Miller geht es gerade eh um Hunde, beziehungsweise um ihn als Hund, beziehungsweise sein hundeartiges Leben oder aber seine degradierte, winselnde Liebe zu bestialischen Frauen, kurzum: Das Odeur verbildlicht das ganze Literatenelend noch viel mehr und du kannst Miller plötzlich nicht nur vor sich hinrottend im Keller sehen, sondern ihn auch riechen. Netter Effekt!

Als dann auch noch plötzlich die krakeelenden kleinen, dicken Jungen in den HH-Jacken und weißen Baggypants das Abteil verlassen, schaust du dich kurz ganz zufrieden um, endlich Ruhe hier, die Letztevierzigseitenverschlingungsphase kann also getrost in ihre extraverschligende Fünfzehnseitenendphase übergehen.

Aber da steht mit einem Mal ein Kakihaufen vor dir, fast zwei Meter groß und breit. Alles an ihm ist kaki, die Schirmmütze, der bodenlange Mantel, der Norwegerpulli, sogar der dunkle Bart wirkt durch die vorhandene, ihn einhüllende Staubschicht kaki. Er sieht aus wie ein vergilbter Kapitän und so hört er sich auch an, harr harr, der große Mann, der dich jetzt fragt, ob er sich setzen dürfe. Du nickst abwesend und schaust dich dabei um: wo ist nur dieser pissnasse Stinkehund, der dir dem Dichtegrad des Odeurs nach zu urteilen jetzt gerade direkt auf dem Schoß sitzen müsste? Der Kapitän begegnet deinem suchenden Blick und grinst. Und da verstehst du.
"Wollt mich mal hergesetzt haben zu so einem schönen Lächeln", sagt er.
"Warum auch nicht", antwortest du und schaust dabei von deinem Buch auf, in das du dich soeben wieder hattest vertiefen wollen.
"Wo die nur alle hin sind?", fragt er und schaut sich um.
"Keine Ahnung", sagst du und zuckst die Schultern.
Da seufzt er und sinkt in die Polsterung der rot-gelb karierten Sitzplätze hinein und wirkt plötzlich ganz klein.
"Mann..ich bin müde."
Du schlägst dein Buch zu und betrachtest ihn, dann fragst du:
"Nich geschlafen?"
"Ne, war bei meiner Ex-Frau", sagt er, richtet sich wieder auf und fährt ohne eine Antwort abzuwarten fort: "Was liest du denn da?"
"Henry Miller."
"Ach!"
Er schweigt und du liest weiter. Dann fragt er:
"Bis wohin fährst du?"
"Grunewald", antwortest du, zögerst kurz und fragst dann:" Und du?"
"Potsdam."
"Ach!", bist du jetzt an der Reihe zu sagen, "Da war ich gestern mit dem Fahrrad! Total doofe Idee, ich war komplett kaputt danach, hatte die Nacht zuvor durchgesoffen."
"Durchgesoffen? Du? Harr Harr Harr."
"Na, hör mal."
Er grinst und du liest weiter. Die Verschlingungsvortex funktioniert sofort. Als du wieder aufschaust seid ihr drei Stationen vor Grunewald. Der Kakikakakapitän schaut dich an:
"Ist es spannend?"
"Sehr."
"Wir sind jetzt am Savignyplatz."
"Mh mh."
Der Kapitän redet weiter und regt sich dabei ein wenig, als er sich zu dir vorbeugt. Du wirst ganz benommen von der Kakofahne. Der Zug fährt wieder an.
"Der hat hier mal ne Bombe entschärft."
"Wie, was?"
"Savigny. Der hat hier mal ne Bombe entschärft. Der is hier abgesprungen und hat ne Bombe entschärft, der war Pilot wie mein Vater."
Du schaust ihn an.
"Ich wollt ja auch, wurde aber ausgemustert, die haben mich nich lassen. Wegen meinem Herzfehler."
"Autsch."
Er macht eine Bewegung, als wolle er sein Herz in den nächsten Mülleimer werfen.
"Naja, ich leb ja."
"Seh ich. Aber auch nicht für immer."
"Harr harr, ne! Harald Juhnke hat hier übrigens auch mal gewohnt. Sein Sohn macht das gleiche wie er."
Du nickst.
"Tja, aber was will man machen. Ich hab ein Loch zwischen den Kammern. Solange ich Zigaretten und mein Bier habe, beklag ich mich aber nicht."
"Das ist gut, wenn man nicht viel zum leben braucht."
"Richtig", sagt er und schaut nachdenklich zum Fenster raus. Du liest weiter.
"Was liest du da eigentlich?", fragt er.
"Immernoch Henry Miller."
"Ach ja. Ich hab meine Brille nicht auf, sonst könnt ich ihn ja auch lesen."
"Wie denn, wenn ich ihn les?"
"Harr Harr! Is das eigentlich ne nackte Frau?"
"Ja, das Buch heißt Sexus."
"Sehr gut."
Noch eine Station bis Grunewald, du bemerkst, dass die angrenzenden Abteile voll sind, während eures leer ist. Kurz bevor der Zug wieder anfährt klopfen die dicken HH-Jungs von vorher gegen die Scheibe, zeigen auf den vergilbten Kapität und wedeln mit der Hand vor der Nase rum.
"Was wollen denn die jetzt?", fragt er.
"Keine Ahnung", sagst du, "aber hässlich sind die. Da sieht man vor lauter Schwabbel die Gesichtszüge nicht mehr."
"Ja, Harr Harr Harr."
Gleich musst du aussteigen, wenn dir die Seuchendüfte zuvor nicht das Gehirn ausknipsen. Aber was kann er schon dafür, ist doch ein netter Kerl, ein feiner abgestürzter Kapitän und wer weiß, ob seine Ex ihn nicht auch mal im Keller gehalten und wie einen reudigen Hund behandelt hat, die hoch thronende Meereskönigin mit eiskaltem Büstenblick auf die aufbegehrenden Wellen hinab. Der Zug rollt in den Stand. "Dann mach's mal gut", sagt er als du dich von deinem Sitz erhebst. Er hält dir seine Hand hin. Sie ist vergilbt wie der Rest seiner Erscheinung, die Hornhaut schält sich teilweise an den Ballen ab, die Nägel sind fast komplett mit Haut überwuchert, als hätte eine übersorgsame Mutter sie zugedeckt. Sie ist so dick, diese Hand, dass sie wie der schwillende Leichnam eines Tsunamiopfers aussiehst.

Du musst dich entscheiden. Jetzt.

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