Dienstag, 20. August 2013

Klischees und Klischees in New York.

NEW YORK


Auf Zons Dach: Blick von Brooklyn auf Manhatten.

14.08.2013: In New York war meine vorläufige Bleibe die gemütlich unordentliche und vollgestopfte Wohnung von Zon aka Liaizon Wakest, den ich vor eineinhalb Jahren in Fez/ Marokko ebenfalls auf einem Dach, nämlich dem des Cafés Clock (sehr zu empfehlen!) kennengelernt habe. Zon wohnt gemeinsam mit seinen vier Mitbewohnern - zwei davon menschlich, zwei tierisch (Katzen) - auf einer der zahlreichen Nebenstraßen der endlos langen Fulton Street, mitten drin im schwarzen Ghetto von Brooklyn.


Blick auf Zon (Fotocredits: Sarrah Danziger). Blick auf seine Homepage: http://wakest.info/


"That is not a good idea!", antwortete mir Zon in einer SMS, als ich ihm noch von Oslo aus vorschlug, einfach die Stunde nach meiner Ankunft, während der er noch auf der Arbeit sein würde, vor seiner Haustür oder irgendwo in der Nähe zu verbringen. "It is not exactly a safe neighborhood.."

Die Klischees, die man so von Brooklyn hat, kann ich dennoch nicht bestätigen. Die Leute waren ungemein freundlich, als ich am Tag nach meiner Ankunft auf Zons kleinem, blauen Klappfahrrad durch ganz Brooklyn bis hinab nach Coney Island, vornehmlich auf dem Ocean Parkway, radelte. Die Karte, die ich dabei hatte, brauchte ich eigentlich gar nicht, denn bevor ich sie überhaupt inspizieren konnte, bot mir jemand schon seinen Rat an. Apropos Rat: Fast noch schöner als der Central Park, jedenfalls wesentlich untouristischer und ruhiger, ist der Prospect Park in Brooklyn!

                           Zons Radl und ich auf Coney Island: Blau, blau, blau sind alle meine Kleider, blau, blau,
                           blau ist alles, was ich hab...


Am Atlantik auf Coney Island angekommen gab es dann erst einmal ein wohlverdientes, selbst gemischtes Radler. Dank Heineken schmeckte ich das Bier eigentlich überhaupt nicht, dank dem ausgelassenen Frühstück spürte ich dennoch was. Was ich hier vornehmlich tat, falls ihr das lest, liebe ehemalige Mitpilgerer, war die Augen schließen und vom Camino träumen. Ich versuchte es jedenfalls. Lust auf Großstadttrouble hatte ich nämlich überhaupt nicht und die nette New Yorkerin, die das Foto oben von mir geschossen hat, meinte auf meine Frage nach ihrem favorite spot in New York nur: "Here!" Also warum mir den Stress antun und New Yorks Attraktionen abklappern, die man eh schon tausend Mal im Fernsehen gesehen hat.

Leider war ich von drei Gruppen schwatzender Amerikaner umzingelt und ein erstes Klischee erfüllte sich. Bei allen drei Gruppen die gleichen folgenden drei Gesprächsthemen: 1. Bestes Handy + bester Vertrag, 2. Welche Diät sollte man machen?, 3. Hast du das schon von Brad und Angelina gehört?
Ich hätte mehr Heineken kaufen sollen...

...darum lieb ich alles, was so blau ist, weil ich gern ma blau am blau'n Meer bin.
Zwei weitere Klischees kann ich an dieser Stelle übrigens überhaupt nicht bestätigen - was auch nicht weiter verwunderlich in New York und San Francisco/ Berkeley ist: Weder ist das Bier schlecht noch ist das Essen fettig, eklig und ungesund. Ich kann jedem empfehlen, unbedingt ein Sierra Nevada Pale Ale zu trinken, sollte sich ihm eines in den Weg stellen und was das Essen und die Supermärkte hier angeht, ist "Organic" eigentlich Pflicht. Besonders hier in San Francisco habe ich manchmal das Gefühl, durch eine gigantische Monsterversion des Prenzlbergs zu laufen, dessen Straßen von gigantischen Monsterversionen von Alnatura gesäumt sind. An diese Größen muss ich mich wahrlich noch gewöhnen.

Das Heineken da oben war also nur eine Parodisierung des American Way of Life und ich habe es mir ganz freiwillig angetan.

Von ungesunder Ernährung keine Spur. Vor einem Obstladen in der Fulton Street.


Später jedenfalls kam ich nach einer kleinen Fahrradpanne zufrieden und erschöpft (ich war fast die komplette Küstenroute Brooklyns mit dem Fahrrad abgefahren) um 7pm zurück in Zons verlassener Wohnung an, duschte dort kurz Sand, Salz und Schweiß ab und machte mich auf den Weg zum Con Artist Collective in der Ludlow Street 119, Manhatten, wo Zon fleißig bei den Vorbereitungen für seine Ausstellung in der darauffolgenden Woche war. Hier der Flyer und eine Zeichnung:



Er unterbrach seine Arbeit, um mit mir ein wenig um die Blocks der Delancey Street, Manhattens alternativem Künstlerviertel, zu strömern. Dabei entdeckten wir einen raumgroßen Altar, der in krankem Neonlicht und gleichzeitig düster gehalten dem bekanntesten Hippie-Killer aller Zeiten, Charles Manson, frönte. Weitere Eindrücke der morbid-tiefenpsychologischen Gedanken der großstadtneurotischen New Yorker Künstlerszene bekam ich danach noch auf einer Gallerie-Eröffnung, wo ich durch Zon auch dazu kam, die ein oder andere Hand der dort ausstellenden Künstler zu schütteln. Weit wohler fühlte ich mich dann jedoch später zurück in der Ludlow Street, wo ich mit anpackte und um 11 Uhr nachts noch gemeinsam mit Zon begann, die Außenfassade der Gallerie weiß zu streichen. Eine verrückte Japanerin blieb begeistert stehen: "I am taking pictures of beautiful New Yorkers, may I?" - aber sie war bereits schon eifrig am Knippsen. So schnell wird man also ein Beautiful New Yorker, dachte ich mir, während auch schon die nächste Gestalt anscharwenzelt kam. Hochhackig und in wenig Stoff gehüllt unter einer zentimeterdicken MakeUp-Schicht flötete sie uns ein "Hiii, I'm not a guy!" entgegen.
Hat Identität wirklich was mit identisch zu tun?



Der Heimweg gestaltete sich dann ebenfalls noch als sehr eindrücklich. Zon empfahl mir den Fußmarsch (ich weiß, eigentlich keine alleinigen Nachtspaziergänge durch fremde Großstädte...) und so machte ich mich also auf den 5 Meilen langen Weg über die Willamsburg Bridge und durch den nordwestlichen Teil von Brooklyn.
An jeder Ecke sah ich  für die längste Zeit meines Weges dunkle Gestalten in schwarzen Mänteln mit langen Bärten und Hüten. Ich kam mir vor wie Harry Potter in der Winkelgasse! Stattdessen befand ich mich allerdings tatsächlich mitten in einem der vielen jüdischen Viertel Brooklyns. Es war ein befremdliches Erlebnis und ich fühlte ganz wie Harry eine unglaubliche Faszination angesichts dieses in sich geschlossenen Mikrokosmos mitten in der Großstadt. Plötzlich konnte ich keine Schrift mehr lesen, keine bekannten Läden erkennen, generell nichts Vertrautes mehr entdecken. Und dann - ganz unvermutet - war der Spuk auch schon wieder mit nur einer Straßenkreuzung vorbei und ich sah wieder die Halal-Metzgereien, Kiosks, Nagelstudios und Ramschläden der farbigen Viertel.
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Wunderschöner Buchladen direkt beim Central Park, der Rizzoli Bookstore.

16.08.2013: Dieser Tag nun in aller Kürze. Ich verbrachte ihn an vier Orten: Im Central Park, im Rizzoli Bookstore, im Bus M60 und am Flughafen. Die längste Zeit saß ich im Bus, weswegen ich am Flughafen nur sehr kurz war, nämlich, um mir einen alternativen Termin für meinen verpassten Flug geben zu lassen. Es hatte ein Feuer auf der Queensbridge und entsprechend absolutes Verkehrschaos auf allen restlichen Brücken nach und aus Manhatten gegeben. Zum Glück hatte ich mir zuvor A Hologram for the King von Dave Eggers im bereits erwähnten Buchladen auf der 57th Street direkt vorm Nordeingang des Central Parks gekauft (und dort einen sehr ansehnlichen jungen Mann getroffen, der mir fast um den Hals gefallen wäre, da ich Michel Hoellebecq, seinen momentanen Lieblingsschriftsteller kannte) und zum Glück hatte ich zuvor beim kompletten Durchqueren des Central Parks von Nord nach Süd meinem Bewegungsdrang freien Lauf gelassen: Drei Stunden saß ich in diesem verflixten und komplett unterkühlten Bus!

Habt ihr's gewusst? Ich nämlich nicht. Man darf im kompletten (!) Central Park nicht rauchen.
An dieser Stelle muss unbedingt die wahnsinnige Hilfsbereitschaft der New Yorker ein weiteres Mal erwähnt werden. Nicht nur in Brooklyn, auch hier und später am LaGuardia Airport sollte sie mir begegnen. Ein Mann rief für mich bei American Airlines an, als ich kurz vorm Nervenzusammenbruch stand und eine Frau tröstete mich am Flughafen, als ich mich mitten im Nervenzusammenbruch befand:

- "Are you alright, Miss?"
- "You know.. *sniff* ....usually I really got nerves but...*sniff*...this is the second time within three days that I can't take my original flight and.....*cry*...I just really wonder if all this doesn't mean that I should go back home! I wanna go home!"
- "But dear, look around you! You see all those people there waiting at the desks? They all missed their flights! I missed my flight! Now don't you worry, dear, everything is gonna be fine!"

Eine halbe Stunde später saß ich mit einem Ticket für einen direkten und schnelleren Flug zu einer besseren Uhrzeit dank Maria, einer dunkelhäutigen Mama-Figur hinter dem Desk, die alles dafür tat mich glücklich zu machen, obwohl ich nur so wenig wollte ("I just wanna get to SF somehow, I really don't care about the conditions!" - "But I want to see you smile! You've got my daughter's name!"), im Bus zurück nach Brooklyn.

Bisher liebe ich meine Erfahrungen im Land der mittlerweile doch sehr begrenzten Möglichkeiten (China ist hier übrigens überall präsent!) sehr und das wohl vor allem aufgrund der Begegnungen und vielen Hilfestellungen, die mir zuteil wurden. Daher beende ich diesen Blogeintrag jetzt mit einer letzten, nicht ganz rosigen Begegnung und einer letzten Klischeekonfrontation:

Am nächsten Tag nach einer letzten Bruchladung bei Zon schaffte ich es gerade noch so rechtzeitig, meinen so toll von Maria organisierten Flug nach Frisco zu erwischen. Dank einem freundlichen Piloten namens Dave, mit dem ich zuvor ins Gespräch gekommen war und der selbst die Strecke NYC- SF alle Nase lang abflog, bekam ich einen Fensterplatz und landete somit neben einer etwas abgewrackt wirkenden Dame mittleren Alters, die den Kajal etwas zu weit unter den Augen trug, als dass man sie nicht einer durchzechten Nacht bezichtigen konnte.
"Oh God!", stöhnte sie neben mir, etwas zu laut, als dass es nicht einer Gesprächsaufforderung gleich kam. "You're ok?", und zack!, bekam ich auch schon ihre komplette Lebensgeschichte aufgetischt. Da war diese Party von ihrem Kumpel, der einen Club in New York besitzt und dann war da dieser Wallstreet Heini, der ein Apartment in Soho besitzt und nein, nein, die Klamotten habe sie angelassen, aber seit ihrer Scheidung vor zwei Jahren lebe sie etwas wild und ihr Sohn sei ja auch erst 7 und jetzt schon so schrecklich emotional, da müsse man gut Acht geben. Jaja, in Berlin habe sie auch einmal gedreht, also eigentlich ihr Vater, aber sie war dabei, selber will sie da auch mal einen Film machen, aber dann eher in Polen drehen, sie brauche die richtige 2.WK-Kulisse. Die Agenten von diesem John Snow-Schauspieler treffe sie nächste Woche, Goooood, wie sie den unbedingt für ihren nächsten Film haben wolle, aber jetzt erst die Rechte für den eben in New York produzierte mit Owen Wilson verkaufen. Ihr Vater habe ja immer gesagt, sie solle nie einen Schauspieler daten und sich nie in einen verlieben. Sie habe auf ihren Vater gehört, sie wisse genau, was sie suche! Auf jeden Fall keinen Schauspieler.

Ihre Augen waren meistens leer. Ich konnte nur etwas darin erkennen, als ich ihr sagte, dass es doch normal sei, dass man sich als Künstler nur dann lebendig fühle, wenn man Kunst kreiert und dass man doch genau deswegen Künstler werde und dass ihr Sohn mit Sicherheit auch einer sei. Nachdem sie fertig erzählt hatte und sich daraufhin nacheinander zwei Folgen Game Of Thrones und zwei Filme reinzog, begann ich in meinem Notizbuch zu schreiben und dachte dabei an ihren Sohn und hoffte für ihn, dass seine Mutter an irgendeinem Punkt in ihrem Leben für sich und für ihn das Klischee Hollywoods würde durchbrechen können.

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